14/05/2025
Nach der Fahrt im Dieseltriebwagen vom Hafen zur Stadtmitte erwartet mich ein reges Treiben. Schnell im Hostel eingecheckt mache ich mich auf in den Stadtkern. Auch wenn ich hier eigentlich theoretisch noch in Großbritannien bin merkt man deutlich, das in der Irischen See im Grunde genommen schon eine Art Kulturgrenze verläuft. Dies wird vor allem in der Ausstellung im Rathaus deutlich. Der Jahrhundertelange Herrschaftswechsel zwischen Iren und Briten und die gezielte Ansiedlung von Protestanten, gefördert durch letztere, haben erst den Nährboden für die Konflikte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gesäht. Militärisch ist dieser zwar seit dem Karfreitagsabkommen beendet, gesellschaftlich brodelt es aber immer noch. Und das erst Recht seit dem Brexit. Gerade Teile jüngerer Generationen sind für die angestaubten Parolen der "Irish Republican Army" sehr erreichbar. Selbiges gilt auch für das Unionistische Gegenstück.
Trauriges Zeugnis der Spaltung sind die nach wie vor durch hohe Zäune abgetrennten Stadtteile. Im Gegensatz zur bezüglich der ausmaße und Emotionalität durchaus vergleichbaren Berliner Mauer ist dies jedoch kein Museumsstück. Man misstraut einander, bleibt unter sich, wirft Müll etc. über die Zäune... Auf der eine Seite ein Meer aus irischen Flaggen und Graffiti-Parolen, auf der anderen britische Vorstadtidylle. Die Verbindungsstraßen, welche die "Peace Walls" durchqueren, werden noch wie vor Nachts durch schwere Eisentore abgeriegelt. Das Viertel zu wechseln ist dann zwar immer noch möglich, aber umständlich.
Und es ist ein gesellschaftliches Dilemma. Maßgeblicher Faktor für den Frieden in Irland war, dass die Grenze zwischen beiden Staaten durch die Europäische Union unsichtbar geworden war. Eine harte Grenze gibt es seit dem Brexit zwar nach wie vor nicht, allerdings ist sie wieder da, und das ist für manch einen schon ein Problem. Und wer könnte es nicht verstehen? Wen deine eigenen Nachbarn an einem Jahrestag den Mördern deiner Familienmitglieder gedenken und sie als vermeintliche Helden stilisieren ist das eine emotionale Gratwanderung. Moral hin oder her...
Aber abgesehen von der so schön in der Geschichtswissenschaft betitelten "Neueren Geschichte" ist das kulturelle Erbe von sowohl Ulster als auch Irland im allgemeinen bemerkenswert. Da wären die Kelten, Wikinger und Briten. Vermutlich hat die Insel so oft ihren Besitzer gewechselt wie eine leerstehende Innenstadtwohnung ihren sich fernab jeden Anstands befindlichen Investor.
Abends mache ich mich übernächtigt ins Hostel und Stelle zur überraschung fest das mein heutiger Zimmernachbar vermutlich über 80 Jahre alt sein muss. Mit seinen Mobilisierungsübungen verbreitet er eher Altenheim-Vibes als Hippie-Stimmung allerdings finde ich es toll das er sich das hier in seinem Alter noch traut. In der Küche Geselle ich mich dann zu zwei Neuseeländern. Es ist schon witzig: Sie fliegen um die halbe Welt um mehr Menschen zu haben, während ich stück für stück der Zivilisation entfliehe. Auf der anderen Seite ist das Gras wohl immer Grüner.
Der Song des Tages ist im Sinne eines mahnenden Appells der über den Nordirlandkonflikt geschriebene und allseits bekannte Song Zombie von The Cranberries. Möge die Zeit ihr übriges erledigen.
Gute Nacht!
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